Dies ist der Prolog aus dem Roman "One - Herzorgasmus" - Teil 1 der 6-teiligen One-Reihe, in der es um das Thema Polarität, Erwachen und Bewusstseinsaufstieg geht. Ich wünsche dir viel Spaß beim Lesen:
[...] Nebel lag auf den Wiesen an diesem Morgen. Feinster Staub von Wasserpartikeln tanzte über den Grashalmen und bedeckte die Natur wie eine zarte, weiche Decke, unter derer stiller Umarmung noch alles schlummerte. Es war ein wunderbarer Anblick. Ein Bild, das sie schon oft gesehen hatte. Doch sie sah es nicht mit ihren Augen. Es war mehr ein Zusammenspiel verschiedener Bewusstseinsformen, das sich für sie zusammenfügte und in ihrer Wahrnehmung sichtbar wurde. Sie spürte jeden Luftstrom und jeden feinsten Wassertropfen, doch nichts davon konnte ihre Sinne berühren. Sie konnte die kühle Luft nicht einatmen, die Stille nicht hören, die Feuchtigkeit nicht auf ihrer Haut spüren. Denn sie war nicht davon getrennt. Sie war jedes Wassermolekül, jedes Sauerstoffatom, jeder Grashalm unter der dichten Nebeldecke. Sie war der Nebel und sie war der Morgen. Nur eines war sie nicht: Ein Mensch. Ein Körper, der diesen Moment erleben konnte. Sie war alles und nichts. Ein Bewusstseinsstrom, der die gesamte Existenz in sich vereinte und keine Trennung fühlen konnte. Sie konnte die feuchte Wiese nicht fühlen, weil sie sie nicht berühren konnte. Sie war die Wiese. Sie war alles.
Sie fragte sich, wie es sich anfühlte, die Grashalme auf der Haut zu spüren. Zu fühlen, wenn sie etwas von der Feuchtigkeit auf ihrer Hand oder ihren Füßen hinterließen. Sie wollte so gern mit nackten Füßen hinüber laufen und erleben, was sie selbst war. Wiese, Nebel, Luft. Sie wollte alles spüren. Durch den Nebel gehen und ihn fühlen. Aber sie hatte für diese Erlebnisse kein Instrument. Keinen Körper. Keine Sinne.
Plötzlich hörte sie eine Stimme. Sie drang durch ihr Bewusstsein wie ein warmer Strom und leuchtete in ihr auf wie hellblaues Licht. Sie kannte diese Stimme. Sie war ein Teil von ihr und gehörte doch zu einem anderen Bewusstseinsstrom. Sie waren eins. Sie und dieses blaue Licht. Es sagte: »Willst du deiner Sehnsucht nicht endlich nachgeben?«
»Ein Mensch werden?«, fragte sie. »Wie könnte ich das? Es bedeutet Leid, nicht wahr? Die Trennung von allem, was ist. Ich sehe die Menschen so oft weinen und spüre ihren Schmerz, der nur aus dem Gefühl der Trennung kommt.«
»Aber es bedeutet auch Glück«, sagte das blaue Licht und ließ erneut das Bild der nebelbedeckten Wiese in ihr aufleuchten. Und während sie es beide wahrnahmen, waren sie beide die Wiese und der Nebel. Er war direkt mit ihr verbunden. Ein Zwilling ihres Bewusstseins. Sie waren eins. »Durch die Trennung kannst du fühlen, sehen, hören, schmecken und riechen. Du kannst die Welt, die wir sind, berühren und sie erleben.«
»Aber die Schmerzen«, sagte das Licht und scheute sich davor, diese Erfahrung jemals zu machen.
»Sie sind nur eine Illusion. Du bist nicht wirklich getrennt. Es ist nur ein Schleier, den du jederzeit lüften kannst. Es ist ein Spiel. Du musst nicht leiden.«
Sie spürte, wie das blaue Licht ihr Sein erhellte, aufleuchtete und mit ihr verschmolz. Sie tauchten ineinander und wurden zu einer neuen Farbe, die keinen Namen kannte. Ihre gelbe Farbe und sein blaues Licht wurden zu einem hellen Leuchten und sie explodierten in Ekstase, verschmolzen mit der Ewigkeit und tanzten in der grenzenlosen Existenz ihres Seins. Sie waren die Einheit, die alles was war, erfüllte.
»Ich begleite dich, wenn du willst«, sagte das blaue Licht, als sie gemeinsam in den grenzenlosen Weiten des Universums leuchteten. »Wir könnten uns suchen.«
Plötzlich strahlte sie in ihrem hellsten Glanz. »Das wäre wunderbar!«, sagte sie und war mit einem Mal fest entschlossen, diese Trennung doch zu wagen. Wenn ihr blaues Licht irgendwo auf dieser Erde war, würde sie es spüren können und sie würde niemals vergessen, dass die Trennung nur eine Illusion war. So würde sie auch nicht leiden können.
Das blaue Licht lachte und umarmte sie mit seinem Leuchten. »Du warst noch nie dort, mein Licht. Ich jedoch habe schon viele Male als Mensch gelebt. Du wirst zunächst vergessen, dass du mit allem verbunden bist und dich nicht daran erinnern, dass wir eins sind. Ich werde einen anderen Körper haben als du und wir werden an unterschiedlichen Orten und von unterschiedlichen Eltern auf die Welt gebracht werden. Wir werden getrennt sein und uns manchmal sehr allein fühlen, weil wir glauben, diese Trennung sei real. Sie fühlt sich auch sehr real an.«
»Das macht mir nichts«, sagte das Licht zuversichtlich. »Ich weiß, ich werde dich spüren können. Ich muss doch nur diesem Gefühl folgen. Der Ekstase, der Liebe und dem Glück. Dem Einheitsgefühl. Dann werde ich dich finden. Und ich weiß, ich werde dich schnell finden. Je größer unsere Trennung ist, umso größer ist auch unsere Anziehungskraft, nicht wahr? Gegensätzliche Pole ziehen sich immer an, um eins zu werden.«
»Ja«, sagte das blaue Leuchten in ihr. »Das ist wahr. Aber ich weiß, wie schwer es sein kann und um wirklich sicherzugehen, dass wir uns finden, sollten wir eine wirklich große Trennung vornehmen und zu zwei Polen werden, die gegensätzlicher nicht sein können. Dann werden wir uns der Anziehungskraft nicht entziehen können.«
»Einverstanden«, sagte sie und ohne es zu merken, flog sie schon mit ihm auf die Erde zu. Der Tag hatte auf vielen Teilen der Welt schon lange begonnen und die Menschen lebten ihr Leben, gingen ihrem Alltag nach, lachten, weinten, spürten die Trennung und manchmal auch die Einheit. Sie war sich sicher, dass sie zu jenen gehören würde, welche das Gefühl der Einheit niemals vergessen würden. Auch, wenn sie Trennung erlebte, würde sie immer spüren, dass sie mit allem verbunden war. Sie würde die Einheit ihrer Existenz spüren und die Ekstase der Verbundenheit mit ihrem blauen Licht. Sie würde es finden, denn sie würde nie aufhören zu suchen.
Es ging so schnell. Ihre Trennung manifestierte sich in dem Moment, in dem sie den Entschluss gefasst hatten. Sie stürzten auf die Welt zu wie zwei Sterne. Zwei leuchtende Flammen rasten hinunter auf die Erde. Sie hörten noch ihre Stimmen, aber sie klangen schon sehr unterschiedlich.
»Ich liebe dich!«, rief sie. »Wir sehen uns!« Und sie konnte es nicht erwarten, endlich wirklich sehen zu können. Mit Augen. Mit menschlichen Augen. Wie würde ihr Zwillingslicht aussehen? Wie würde es klingen? Wie würde es sich anfühlen? Bei all diesen Gedanken wurde sie immer schneller. Sie wollte nicht mehr warten. Sie wollte es erleben. Sie wollte die Trennung sein, um die Einheit finden zu können. Sie wollte klein sein, um zu erkennen, wie großartig sie war. Sie wollte etwas Einzelnes sein, um die Verbindung mit allem erleben zu können. In wenigen Augenblicken war es soweit. Ihr blaues Licht rief ihr zu, dass es sie suchen würde und dass es nicht aufgeben würde, bis sie wieder eins waren.
»Ich liebe dich!«, erklang eine tiefe, männliche Stimme in ihr. Befremdlich, anders, neu. »Ewig und unendlich.«
Und dann schlugen sie auf der Erde auf und implodierten zu getrennten, einzelnen Wesen.
Aina schreckte auf und schrie! Schweißperlen standen ihr auf der Stirn und ihr langes Haar klebte an ihrem Gesicht. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Brust wie ein Presslufthammer und ihr hastiger Atem beruhigte sich kaum. Ein Wimmern war darin zu hören. Leise und schmerzhaft. Sie hob die Hand und berührte ihre feuchte Stirn mit ihren Fingern. Dann betrachtete sie die Feuchtigkeit auf ihrer Haut, als sei sie etwas ganz Besonderes. Sie rieb sie zwischen ihren Fingern und beobachtete fasziniert, wie sie im Mondlicht schimmerte. Warum war sie so erstaunt darüber, dass sie diese Feuchtigkeit fühlen konnte?
»Nur ein Traum«, flüsterte sie und wischte sich das Gesicht trocken. Er hatte sich wohl noch nicht ganz verflüchtigt. Obwohl sie sich nie wirklich an den Traum erinnern konnte, der sie schon ihr ganzes Leben lang plagte. Es blieb immer nur ein Gefühl zurück. Eine Sehnsucht, die sie nicht benennen konnte.
Als sich ihr Herzschlag langsam beruhigte, sah sie aus dem Fenster. Das hellblaue Licht des Mondes schien durch die verglaste Öffnung in der Wand und warf ein großes, blaues Viereck auf den Boden ihres Schlafzimmers. Es endete direkt vor ihrem Bett. Schnell schob sie die Beine unter der Bettdecke hervor und hielt sie in den Lichtstrahl hinein. Als das blaue Leuchten ihre Haut berührte, seufzte sie auf und legte den Kopf in den Nacken. Es beruhigte sie, wenn sie sich von seinem Licht berühren ließ. Manchmal, wenn sie wieder nicht schlafen konnte, setzte sie sich in Unterwäsche vor das Fenster, nur damit das Mondlicht ihre Haut berühren konnte. Es fühlte sich an wie eine Umarmung. Eine warme, liebevolle Umarmung. Als würde die Ewigkeit ihr über die Wange streicheln und versuchen ihr mitzuteilen, dass sie nicht allein war. Aber wenn sich dann eine Wolke vor das Antlitz des Mondes schob und sein Licht verdeckte, kamen ihr wieder die Tränen und eine unbekannte Sehnsucht erfüllte ihr Herz. Sie konnte nicht sagen, was es war. Sie konnte es nicht in Worte fassen, das Gefühl, das ihren Blick in weite Ferne zog und ihre Gedanken verstummen ließ. Es war ein Gefühl so weit wie die Unendlichkeit. So unsichtbar wie Luft und doch so stark und mächtig. Wie ein Energiekraftwerk summte, bebte und pulsierte es in ihr. Unaufhörlich. Stetig. Und wenn sie auf sein markdurchdringendes Flüstern hörte, rief es sie, ... zu sich in die Unendlichkeit. In seine Arme, zu den Sternen. In ein seidenes Kleid, gewebt aus Fantasie. Auf die Schwingen der Träume. Erneut hauchte ihr die Sehnsucht, die sie nicht benennen konnte, eine Liebeserklärung in ihr Herz und streichelte ihre Seele. Hob sie empor auf Armen so groß wie Gebirge und ebenso stark. Es umhüllte sie. Sanft wie ein Schleier aus Nebel, geheimnisvoll und doch so klar. Sie war gefangen. In einem Bann geboren, den sie nicht begriff. Nie hielt er sie fest und doch gehörte sie mit Leib und Seele ihm. Diesem Gefühl. Dieser Sehnsucht nach etwas Unbekanntem.
Eine Träne rollte ihr langsam über die Wange und benetzte ihre Lippen und ein schweres Seufzen hallte durch den Raum. »Dummkopf!«, sagte sie leise zu sich selbst und griff nach den Tabletten, die auf ihrem Nachtschrank lagen. Das Wasserglas glänzte im Mondlicht und sah fast zu schön aus neben den Tabletten, die sie so sehr hasste. Aber sie würden ihr Gemüt beruhigen und ihre Sehnsucht verstummen lassen. Sie legte sich die Tablette auf die Zunge, spürte in einem kurzen Moment der Entzückung ihre glatte Oberfläche und war erneut erstaunt darüber, dass sie in der Lage war, sie zu fühlen. Und dann schluckte sie sie mit einem großen Schluck des vom Mondlicht liebkosten Wassers hinunter. Gleich würde das Taubheitsgefühl ihre Sehnsucht verdecken, die jede Faser ihres Seins durchdrang und die seltsamen Gedanken verstummen lassen. Gedanken, die sie nicht verstand. Die Faszination darüber, dass sie fühlen konnte, sehen und hören. Das war verrückt. Und dieser Drang … Der Drang nach irgendetwas zu suchen. Etwas, das in ihr kochte wie ein Vulkan, der kurz davor war auszubrechen. Sie hatte Angst davor, denn sie spürte, sie würde die Kontrolle verlieren, wenn dies geschah. So war es besser.
»Gute Nacht!«, sagte sie. Zu wem wusste sie nicht. Zum Mond vielleicht. Oder zu dem blauen Licht, das immer noch so vertraut und beruhigend in ihr Zimmer leuchtete.
Und dann zog die künstliche Müdigkeit sie hinab in einen tiefen Schlaf, von dem sie am nächsten Morgen nie mehr wusste, als einen Bruchteil. Den Teil mit dem Licht. Dem hellblauen Licht ... [...]